Die jüngste Entscheidung des OGH zum Pflegeregress bringt eine wichtige Klarstellung für Betroffene.

 

Was ist der Pflegeregress?

Durch den Pflegeregress war es den österreichischen Bundesländern möglich ihre Ausgaben für Pflegekosten durch Zugriff auf das Vermögen von stationär Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen zu decken.

Stationäre Pflege bedeutet, dass eine Person mit Anspruch auf Pflegegeld während des Tages und der Nacht in einer Betreuungseinrichtung untergebracht ist.

Reicht bei diesen Pflegebedürftigen das Einkommen nicht zur Deckung der Pflegekosten aus, kommt das jeweilige Bundesland für den Restbetrag auf. Zum Einkommen zählen die Pension und auch das Pflegegeld. 20 Prozent der Pension und 10 Prozent des Pflegegeldes müssen aber dem Heimbewohner bleiben.

Die Bundesländer holten sich diesen Restbetrag durch Zugriff auf das Vermögen des Pflegebedürftigen und seiner Angehörigen wieder zurück (Regress). Auch Erbschaften waren davon betroffen. Darüber hinaus existierten Regelungen, durch die auch Geschenke des Pflegebedürftigen an andere Personen in den letzten Jahren vor der stationären Pflege herangezogen werden konnten.

In weiterer Folge führte der Pflegeregress oft zur Belastung von Immobilien wie Wohnungen und Häuser der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen mit exekutiven Pfandrechten zugunsten der Bundesländer.

Verbot des Pflegeregresses

Die Abschaffung des Pflegeregresses war schon länger eine politische Forderung. Beschlossen wurde sie im Juni 2017 ohne Einigung auf eine Gegenfinanzierung.

Mit 1.1.2018 trat das Verbot des Pflegeregresses in Kraft. Seither darf auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen und ihrer Angehörigen, Erben und Geschenknehmer nicht mehr zugegriffen werden. Seit diesem Datum dürfen Ersatzansprüche gegen diesen Personenkreis auch nicht mehr geltend gemacht werden. Alle in diesem Zusammenhang laufenden Verfahren müssen eingestellt werden.

Das Verbot gilt nur für die stationäre Pflege. Laut Sozialministerium dürfte das Verbot auch auf die Unterbringung in Behinderteneinrichtungen analog anzuwenden sein. Der Zugriff auf das Einkommen bleibt wie bisher bestehen.

Offene Fragen

Was die neue Rechtslage nun im Detail für die Betroffenen bedeutet, lies sich aus der Gesetzesänderung im Zuge der Abschaffung des Pflegeregresses noch nicht eindeutig beantworten. Wie ist etwa mit Pflegekosten umzugehen, die bereits vor dem Jahr 2018 entstanden sind? Was passiert mit laufenden Verfahren? Wie ist mit der Durchsetzung bereits rechtskräftig entschiedener Ansprüche umzugehen? Und was passiert, wenn Pflegebedürftige oder ihre Angehörigen Forderungen aus dem Pflegeregress noch nach dem 1.1.2018 beglichen haben?

Im Laufe des Jahres 2018 wurden die meisten dieser Fragen durch höchstgerichtliche Entscheidungen beantwortet.

So wurde durch den OGH festgestellt, dass zur lückenlosen Umsetzung des Regressverbotes auch vor dem 1.1.2018 verwirklichte Sachverhalte vom Regressverbot erfasst sind und die geänderte Rechtslage auch noch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen anzuwenden ist.

In der dazu ergangenen Grundsatzentscheidung klagte eine Sozialeinrichtung der Stadt Wien den Erben auf Rückzahlung der übernommenen Sozialhilfekosten für seine stationär pflegebedürftige Mutter. Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Berufung dagegen wurde nach dem 1.1.2018 entschieden und führte wegen der Abschaffung des Pflegeregresses zur Abweisung der Klage.

Für nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren war die Rechtslage damit geklärt. Ungeklärt blieb jedoch die Frage, ob Forderungen, über die bereits eine rechtskräftige Entscheidung vor dem 1.1.2018 ergangen ist, ebenfalls vom Regressverbot betroffen und damit nicht mehr durchsetzbar sind.

In der kürzlich veröffentlichten Entscheidung vom 24.10.2018 bejahte der OGH dies im Wesentlichen.

Schon 2015 wurde der betreibenden Partei, dem Land Niederösterreich, die Exekution von Pflegekosten durch zwangsweise Pfandrechtsbegründung an einer Liegenschaft der Verpflichteten bewilligt und im Grundbuch eingetragen. Im Februar 2018 beantragte die Verpflichtete die Löschung des Pfandrechts mit der Begründung, dass es sich dabei um Pflegekosten handle, welche seit dem 1.1.2018 nicht mehr durch Vermögenszugriff abgedeckt werden dürfen. Das Erstgericht stellte das Verfahren ein, das Rekursgericht änderte die Entscheidung jedoch ab und wies den Einstellungsantrag mangels eines Einstellungsgrundes nach § 39 EO ab.

Der OGH stellte zunächst fest, dass das Exekutionsverfahren noch nicht abgeschlossen sei, solange ein exekutives Pfandrecht im Grundbuch eingetragen ist. Damit handelte es sich um ein laufendes Verfahren.

Bei der Frage der Anwendung des Regressverbots auf Exekutionsverfahren folgte er dann der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes. Dieser geht von der Unzulässigkeit jedes Vermögenszugriffes auf Angehörige, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/innen von stationär gepflegten Personen aus. Dies treffe ausdrücklich auch bei Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung zu, die vor dem 1.1.2018 ergangen ist.

Aus dieser Entscheidung ergäbe sich nach dem OGH zwar keine Aussage, dass ein anhängiges Exekutionsverfahren ohne weiteres Verfahren außerhalb der Exekution einzustellen sei, lasse es aber „konsequent erscheinen, in der Anordnung des § 707a ASVG, dass laufende Verfahren einzustellen sind, (auch) die Schaffung eines selbständigen, von den in der EO normierten unabhängigen Exekutionseinstellungsgrund zu erblicken, der mit einem Antragsrecht der Verpflichteten einhergeht.“

Im vorliegenden Fall war es unstrittig, dass der betriebene Anspruch den Pflegeregress betraf, weswegen die Voraussetzungen für die Einstellung der Exekution gegeben waren. Der OGH entschied dementsprechend auf Löschung des exekutiven Pfandrechts und Einstellung des Exekutionsverfahrens.

Offene Fragen stellen sich damit vor allem noch Betroffenen des Pflegeregresses, die im Laufe des Jahres 2018 dennoch Rückzahlungen getätigt haben, um exekutive Pfandrechte zu tilgen. Die Rechtsprechung vor allem des Verfassungsgerichtshofs gibt diesen aber gute Chancen für die Rückforderung des Bezahlten.

Fazit

Rund ein Jahr nach in Kraft treten des Regressverbots stellt sich die Rechtslage folgendermaßen dar: Nicht nur Pflegekosten, welche nach dem 1.1.2018 entstanden sind, sondern auch solche aus der Zeit davor und zwar sogar dann, wenn bereits eine rechtskräftige Entscheidung über sie vorliegt, können nicht mehr durch Vermögenszugriff eingebracht werden.

  • 707a Absatz 2 ASVG ist als unabhängiger Exekutionseinstellungsgrund zu beachten, der bei Vorliegen der Voraussetzungen zur Löschung von zwangsweise eingebrachten Pfandrechten und Einstellung des Exekutionsverfahrens führt.

Wer Forderungen aus dem Pflegeregress im Laufe des Jahres 2018 zurückbezahlt hat, ist durch die Judikatur zur Abschaffung des Pflegeregresses zumindest in einer aussichtsreichen Position, sein Geld zurückzubekommen.